Ein bisschen Frieden wäre klug

Das Etikett gibt oftmals den Ausschlag für die Kaufentscheidung. So geht es auch vielen Eltern, die für ihre Kinder nur die beste Schulbildung wollen. Deshalb möchten die meisten Eltern ihre Sprösslinge auch gern auf ein Gymnasium schicken, weil sie dort die beste Bildung und damit die aussichtsreichsten Zukunftschancen vermuten. Natürlich haben die Gymnasien auch nur begrenzte Aufnahmekapazitäten und es sollte ein gewisses Niveau gehalten werden. Das ist schwerlich möglich, wenn auch Eltern mit Kindern schlechterer Schulartempfehlungen “es erstmal auf dem Gymnasium versuchen wollen”. Mit der Schulreform des Jahres 2007 war durch das Angebot der Gemeinschaftsschule, in der die Kinder und Jugendlichen in neun Jahren das Abitur machen, eine ernstzunehmende Alternative eingeführt geworden, vor allem wenn das eigene Kind vielleicht doch nicht zu den absoluten Überfliegern gehört. Für die ganz Begabten, die ihre Empfehlung auf das Gymnasium bekommen hatten, stand als Alternative immer noch G8 (Abitur an einem Gymnasium in acht Schuljahren) zur Auswahl.

Längeres gemeinsames Lernen war eine der Intentionen, die das 2007 verabschiedete Schulgesetz, durch die so genannte große Koalition, hatte. Das hieß ungeachtet der Schulartempfehlung, sollten der Großteil der Schülerinnen und Schüler nach der Grundschule auf eine Regional- oder Gemeinschaftsschule wechseln. Dort wird binnendifferenziert unterrichtet und ggf. nur in bestimmten Langfächern (Mathe, Deutsch, Englisch) in späteren Jahren auch äußerlich differenziert, indem klassenübergreifende Kurse auf verschiedenen Niveaustufen angeboten werden. Für Schüler XY kann das bedeuten, dass er zwar in Mathe den Kurs auf einem niedrigen Niveau besucht, weil er in diesem Fach Schwächen hat, jedoch in Deutsch oder Englisch durchaus einen Kurs auf höherem Niveau besuchen kann, weil dort seine Stärken liegen. Ansonsten findet die Differenzierung im Klassenraum statt und neben der fachlichen Bildung wird viel Wert auf die Erweiterung der Sozial- und Selbstkompetenz gelegt. “Lernen durch Lehren”, “Eigenlernzeit” und “projektorientierter Unterricht” heißen hier die pädagogischen Schlagworte.

Nun soll diese Reform durch eine gesetzliche Neuregelung untergraben werden. Denn mit einer Wiedereinführung des G9 an den Gymnasien entscheidet in den Köpfen der Eltern viel eher wieder das Etikett der Schule über die Güteklasse. Und auch die Eltern der weniger begabten Grundschüler werden es nun “erstmal auf dem Gymnasium versuchen wollen”. Wer das dann nicht schafft, kann ohne Probleme schräg in eine Regional- oder Gemeinschaftsschule versetzt werden. Einfach auf dem Papier in der Schülerakte, schwer zu ertragen für das Kind, das den Ansprüchen und Vorstellungen seiner Eltern nicht gerecht geworden ist und sich nun ein oder zwei Jahre später auf die andere Art zu lernen an einer nichtgymnasialen Schulform einstellen muss.

Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP) sieht das als Fortschritt an, denn seiner Ansicht nach handelt es sich bei dem Konstrukt der großen Koalition um eine “20 Jahre verfehlte sozialdemokratische Schulpolitik”, die er nicht bereit ist zu zementieren. Ob diese Art der Schulpolitik funktionieren könnte, ist im Moment noch nicht absehbar, denn die Gemeinschaftsschulen der ersten Stunde sind mittlerweile erst im 7. Jahrgang. Deshalb ist es noch zu früh abzusehen, wie viele von ihnen letztendlich mit guten Abiturergebnissen ihren Abschluss machen konnten. Bisher gab es nur jede Menge Arbeit an den Schulen und jede Menge Verunsicherung in den Elternhäusern. Deshalb hat sich in der letzten Woche die Volksinitiative “Schulfrieden in Schleswig-Holstein” gebildet, die mit einer Unterschriftenaktion einen verbindlich festgelegten Schulfrieden bis 2013 erreichen und deshalb Klugs Gesetz kippen wollen. Einer der Initiatoren der Initiative ist der Vorsitzende des Landeselternbeirates Stefan Hirt. Er erklärte, dass im Jahr 2013 die ersten Schülerinnen und Schüler ihren Abschluss nach der Schulreform 2007 gemacht hätten und man dann auch erst sagen könne, ob das System so funktioniere oder nicht. Nach eigenen Angaben haben die Initiatoren etwa 150 Unterstützer.

Wir haben bei den Initiatoren nach- und die Beweggründe für die Aktion hinterfragt und Stefan Hirt erklärte folgendes:

Bei uns drei Initiatoren handelt es sich vielmehr um Eltern, die insgesamt 11 Kinder an dieser Schulform haben, bzw. nach deren Schulabschluss mit Abitur hatten. Wir sind alle überzeugt von dieser
Schulart.  Allerdings haben wir auch sehr viele Gespräche mit Eltern aus den anderen Schularten geführt, die sich alle unserer Forderung nach produktiver Ruhe anschließen. Sowohl G8 Eltern von den Gymnasien, vereinzelte G9 Eltern, Eltern von Regionalschulen und Grundschulen, als auch Lehrer von ganz verschiedenen Schulformen sehen diese Notwendigkeit.

Hier geht es also nicht allein um die Gemeinschaftsschulen. Es geht vielmehr darum, der laufenden internen Findung und Entwicklung der sich ja erst sozusagen im dritten “Lebensjahr” befindlichen Schulen nicht durch ständige Richtungswechsel Steine in den Weg zu rollen, sondern ihnen durch Verlässlichkeit, statt grenzenloser Freiheit, zu ermöglichen, die von ihnen selbst in ihren pädagogischen Programmen gesetzten Ziele zu erreichen. Ständiges Nachbessern im laufenden System bringt immer wieder Unruhe und zuviel Unruhe bringt manchmal noch unsichere Systeme in’s Wanken, statt ihnen Zeit für die Festigung zu lassen.

Aufgrund der Vorwürfe des Bildungsministers, die Kritik am neuen Schulgesetz würde veraltete, sozialdemokratische Ideen unterstützen, interessierte uns natürlich auch, ob die Initiative denn vielleicht wirklich eine parteiliche Aktion ist, die sich als harmlose Elterninitiative tarnt. Herr Hirt war in Bezug auf diese Frage offen:

Ich selbst bin, wie auch meine Mitstreiter Benita v.Brackel-Schmidt und Friedhard Temme, in keiner Partei und die Unterstellung, wir würden sozialdemokratische Interessen verfolgen ist schlicht falsch. Wir reden gerne mit allen Parteien, und Frau v. Brackel-Schmidt und ich legen sehr viel Wert auf objektive und sachliche Betrachtung aller “enthaltenen” Schulformen in unserem Amt im Vorstand des LEB der Gemeinschaftsschulen und lassen uns auch nicht in eine Schublade pressen.
Wir arbeiten überparteilich in unseren Ämtern und sind politisch sehr interessiert, dieses aber sehr offen. Dass die Gegner dieser Volksinitiative versuchen, uns in eine politische Richtung zu pressen, ist nur ein unsachlicher Versuch, Stimmung gegen uns zu machen.

Das Ziel der Initiative ist es, 20.000 Unterschriften zu sammeln. Dann muss sich nämlich der Landtag damit beschäftigen. Das langfristigere Ziel ist ein Volksbegehren mit Option auf einen Volksentscheid. Die Frage ist, ob in diesem Falle die Aufklärung der Stimmberechtigten besser als in Hamburg funktioniert, denn dort hatten kürzlich die Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens vor allem aufgrund sehr geringer Wahlbeteiligung den Kürzeren gezogen. Fakt ist, dass die Zeit knapp wird, denn das neue Schulgesetz soll voraussichtlich am Anfang des neuen Jahres verabschiedet werden, damit die Auswirkungen zum Beginn des Schuljahres 2011/12 eintreten können.

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